Mein Vater (Georg Otto)

Autor: Dieter Otto.
Mein Vater Georg Otto wurde am 3, Oktober des Jahres 1883, also dieieinhalb Jahre nachdem meine Großeltern Friedrich und Martha in der Marienkirche zu Berlin getraut worden sind, als zweites Kind der Familie Otto geboren.
Sein älterer Bruder Kurt, der später eine allgemeinmedizinische Arztpraxis in Berlin-Spandau betrieb, ist der Vater von Gisela, dem heute in den USA lebenden Hans-Jürgen, meiner weiteren Cousine Almuth (Bad Godesberg) und dem bereits verstorbenen jüngsten Sohn Eckart. Mein Onkel Kurt kam als erstes Kind der Ottos am 7, Oktober des Jahres 1880, genau 9 Monate nach der Eheschließung der Großeltern zur Welt.
Später wurden dann die beiden Schwestern Johanna (die Mutter von Hildegard Siebrecht) und Frida geboren (1893).
Da Großmutter Otto vier Kindern das Leben geschenkt hatte, wurde sie während der Nazizeit mit dem sogenannten "Mutterkreuz" geehrt.
Mein Vater ist nach den mir vorliegenden amtlichen Unterlagen in Moabit in der Werftstraße Nr. 16 geboren. Warum er gegenüber meiner Mutter immer behauptete in der Paulstraße, einer der unmittelbar daneben liegenden Parallelstraße geboren zu sein, ist mir unverständlich. Sein Geburtshaus in der Werftstraße hat den letzten Krieg leider nicht überdauert. Man kann nur ahnen, daß es ein sehr schönes und vornehmes Haus gewesen sein muß, wenn man die noch vorhandenen Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft betrachtet.
Spätestens als der Nachkömmling" der Familie, meine Tante Frida geboren wurde, sind die Otto's ein paar Häuser weiter, in den 3. Stock des Hauses Werftstraße Nr. 11 gezogen. Wahrscheinlich war diese Wohnung größer. Auch das Haus Nr. 11 steht nicht mehr - es war ein Eckhaus! (Zu dieser Problematik siehe Anmerkungen auf Seite 6, oben)

Warum mein Vater beinahe zu Tode kam

Um so richtig zu empfinden in welcher Zeit mein Vater geboren wurde, sollte man sich vergegenwärtigen, daß Wilhelm I, der erste deutsche Kaiser noch lebte, daß in vielen Familien die Kinder ihre Eltern noch mit "Herr Vater", "Frau Mutter" und mit "Sie" anredeten, daß kleine Kinder, auch wenn sie männlichen Geschlechtes waren (wie auf dem Kinderbild meines Vaters zu sehen), generell Kleider trugen und daß es in Berlin noch Pferdebahnen gab.
Erst 18 Jahre vor der Geburt meines Vaters fuhr überhaupt die erste Pferdebahn Deutschlands, in Berlin, zwischen Charlottenburg und dem Brandenburger Tor. Als mein Vater sieben Jahre alt war, das war im Jahre 1890, gab es in Berlin 55 Pferdebahnlinien mit rund 360 km Gleisen. Jährlich wurden damit etwa 164 Millionen Menschen befördert. Das heißt statistisch gesehen fuhr jeder Berliner fast einhundertmal im Jahr mit der Pferde - Eisenbahn, denn zu dieser Zeit lebten ca. 1,6 Millionen Menschen in Berlin.
Ich erinnere mich noch gut wie mein Vater mir erzählte, daß er mal von einer Pferdebahn überfahren wurde. Um das Fahrgeld zur Schule als zusätzliches Taschengeld zu sparen, sei er beim schnellen Laufen mitten auf der vereisten Fahrbahn ausgerutscht und eine heranpreschende Pferdebahn konnte nicht rechtzeitig zum Stehen gebracht werden. Die Pferde seien aber geschickt über ihn hinweggesprungen und er hatte insofern Glück, daß er genau zwischen den großen Rädern zum Liegen kam, so daß er insgesamt mit dem Schrecken davonkam.
Mein Vater besuchte nach eigenen Aussagen zunächst ein humanistisches, dann offensichtlich ein Realgymnasium, das er aber meines Wissens nach noch vor dem Abitur verließ. Nur so kann ich mir seinen unumstimmbaren Willen erklären, daß ich selbst unbedingt die Schule bis zur Reifeprüfung durchzustehen hatte, obgleich ich nur ein mittelbegabter Schiller war und es mein sehnlichster Wunsch war, die Schule nach der mittleren 'Rtife ( 10. Klasse ) beenden zu dürfen, um einen Beruf zu erlernen. Väter wollen eben immer, daß ihre Söhne mehr erreichen, als sie selber geschafft haben.
Im März 1900, also erst mit 16 1/2 Jahren (?) wurde mein Vater in der St. Johanniskirche, am Kleinen Tiergarten, in der Straße Alt Moabit 25 gelegen, konfirmiert. Warum er so spät konfirmiert wurde und warum er erst mit 19 Jahren (!) eine Lehre begann, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben.
Die Otto'schen Söhne genossen eine gestrenge preußische Erziehung. Die militärisch exakte Kasernenhof Atmosphäre, die Großvater Friedrich ständig verbreitete, wird zum Beispiel dadurch dokumentiert, daß er jeden Morgen seinen Söhnen einen Eimer mit kaltem Wasser vor das Bett stellte und ihnen befahl, sich damit abzuhärten. Allerdings verstanden sie bald geschickt, dieses zu unterlaufen, indem sie mit dem Lappen nur etwas Wasser aus dem Eimer herum auf dem Boden verspritzten, um ihren "Alten Herrn", wie sie respektlos ihren Vater nannten zu täuschen und so zu tun als hätten sie seinem Wunsche gehorsam entsprochen.
Irgendwann kam es dann doch wohl zum großen Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn, denn soweit ich mich erinnern kann, war mal die Rede davon, daß mein Vater für eine gewisse Zeit sein Elternhaus trotzig verlassen haben soll - aber wann das genau gewesen sein soll und für wie lange, weiß ich nicht.
Einer Postkarte nach zu urteilen, die Bruder Kurt aus Königsberg in der Neumark, wo er wahrscheinlich seine in Berlin nicht bestandene Abiturprüfung nachholte, im November 1899 an seine kleine Schwester Frida schrieb, lebte mein Vater noch im Hause seiner Eltern. Denn Bruder Kurt ließ grüßen und mahnte den schreibfaulen Georg, sich doch mal zu melden.
Jedenfalls ist mein Vater erst von 1902 - 1905 (also mit 19 - 22 Jahren) in die Lehre gegangen. Er wurde, wie sein Vater und wie dessen Vater und wie ich - Maurer und hat dann auch wie ich die Baugewerkschule in der Kurfürstenstraße besucht, die er als Hochbautechniker verließ.
Während seiner Lehrzeit, die er auch für eine kurze Zeit in Bad Freienwalde bei seinem Onkel dem Königlichen Hofmaurer- und Zimmermeister Emil Baeskow verbrachte, war er u.a. an der Errichtung des Amtsgerichtes Mitte (direkt an der S - Bahn zwischen den Bahnhöfen Jannowitzbrücke und Alexanderplatz gelegen) beteiligt, später als Bauführer für den Bau des Reform - Realgymnasiums in der Martin Luther Straße verantwortlich.

Warum er sich heimlich verlobte

Mit 24 Jahren absolvierte er seine militärische Dienstpflicht bei der schweren Artillerie. In dieser Zeit muß es gewesen seins daß es ihn in die Festung Thorn der Universitätsstadt an der Weichsel verschlug.
Thorn (polnisch Torun) ist heute die Hauptstadt der Woiwodschaft Pomorze (ehemalige deutsche Bezeichnung: Pomerellen), etwa an der Südwestecke des ehemaligen Westpreußen gelegen. Es ist die Geburtsstadt von Kopernikus und geschichtlich durch den Friedensschluß zwischen dem Deutschen Orden und Polen in den Jahren 1411 und 1466 (siehe Geschichte der Lantzke'schen Ahnen, auf Seite 2 !) bekannt geworden. Ich selbst hatte mal für kurze Zeit die Möglichkeit, im Rahmen einer Dienstreise dort auf den Spuren meines Vaters zu wandeln und habe auch die Gelegenheit genutzt, die umfangreichen Wehr- und Befestigungsanlagen der trutzigen Festung zu besichtigen, in deren Mauern mein Vater damals seinen Dienst zu absolvieren hatte.
Dort also weilte mein Vater als junger Offiziersanwärter und verliebte sich ausgerechnet in die Tochter des ehrwürdigen Hochschulprofessors Schulz. Käthchen hieß das zarte Kind mit Namen, Käthchen von Torun, nicht Ännchen von Tharau

  • aber ansonsten war die ganze Angelegenheit genauso traurig, wie in dem Volkslied. Es war nun mal eine Beziehung, die wegen der damaligen Standesunterschiede von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
    Es muß eine kurze aber eine große Liebe gewesen sein - sie hatten sich sogar heimlich verlobt!
    Nach über 50 Jahren hatte ich die große Ehre diese Dame seiner Zuneigung persönlich kennenzulernen. Es war in den ersten Jahren unserer Ehe, daß mich meine Frau eines Tages nach der Arbeit mit den Worten begrüßte: "Wir haben Besuch - die ehemalige Verlobte deines Vaters ist da!" Ich glaubte zuerst an einen schlechten Scherz - ich hatte in meinem Leben nie etwas von der Existens einer solchen Verbindung gehört. Dabei hatte sie schon einmal, wie sie uns erzählte, noch zu Lebzeiten meines Vaters versucht, mit ihm in Kontakt zu treten. Das war im Jahre 1942, als mein Vater mit einer schweren Lungenentzündung und Rippenfellvereiterung im Krankenhaus lag.
    Tante Frida hatte damals Frau Käthe Amelung (sie war inzwischen standesgemäß mit einem Marburger Hochschulprofessor verheiratet !) recht unwirsch an unserer Wohnungstür abgefertigt, so daß sie es wohl danach nicht mehr versucht hatte mit meinem Vater Verbindung aufzunehmen, geschweige denn uns nochmals aufzusuchen. Mir ist auch nie bekannt geworden, ob mein Vater bis zu seinem Tode je von ihrem Besuch erfahren hat.
    Frau Amelung schwärmte ganz hingebungsvoll von der schönen aber kurzen Zeit ihrer jungen unschuldsvollen Liebe, erbettelte noch ein Bild ihres ehemaligen Geliebten von mir - und so plötzlich wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder aus meinem Leben. Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.
    Nach Beendigung seiner militärischen Dienstzeit stellte sich mein Vater "einer alten Leidenschaft folgend" ( wie er später selbst in einem Lebenslauf vermerkte ) beruflich vollkommen um und wurde wie auch schon sein Vater vor ihm Landvermesser und Topograph bei der Preußischen Geologischen Landesanstalt, der er ununterbrochen insgesamt fast 40 Jahre angehörte, es dort immerhin bis zum Regierungsoberinspektor brachte und erst am 1. April des Jahres 1947 unter sehr unwürdigen Umständen diese verlassen mußte.
    Seine Vermessungsaufgaben führten ihn damals in die Erzbaugebiete des Siegerlandes und des Harzes (Rammelsberg und Steinberg in Goslar), später dann auch nach Seitenberg, das im Glatzer Bergland liegt (Kreuzberg), Alle drei Arbeiten befinden sich noch in meinem Besitz. In Goslar wohnte er bei einer Familie Schwarz geradeüber vom Silberbergwerk in der Nähe des Herz-berger Teiches am Fuße des Rammeisberges. Bei dieser Frau Schwarz habe ich genau 23 Jahre später meinen zehnjährigen Geburtstag gefeiert!
    Mein Vater freundete sich seinerzeit mit der Tochter des Hauses an, die später den Färbereibesitzer Schirmer heiratete, an Lungentuberkulose erkrankte und sehr früh starb. Den Sohn und heutigen Besitzer der Reinigungsanstalt und Färberei Schirmer habe ich gleich nach Öffnung der Mauer 1990 bei einem Urlaubsaufenthalt von Wernigerode aus besucht.
    Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges starb mein Großvater. Mein Vater lebte damals, zusammen mit seiner Schwester Frida noch bei den Eltern in der Thorwaldsenstraße Nr. 19. in Berlin - Friedenau in der Nähe des Friedhofes in der Bergstraße, wo beide Großeltern dann, auch begraben sind.
    Bruder Kurt war inzwischen Stabsarzt beim Militär und Schwester Johanna war mit dem Gewerbeassessor Robert Marczinowski, dem Vater von Hilde, in Hagen in Westfalen verheiratet.
    Robert Marczinowski ging seinerzeit mit Kurt Otto in eine Klasse und hatte dadurch im Hause seines Klassenkameraden seine zukünftige Frau kennengelernt.
    Nach einem Notizbuch meines Großvaters zu urteilen, muß die Familie vordem in Schöneberg, in der Cranachstraße 31/32 gewohnt haben. Beide Häuser, sowohl das in der Thorwaldsenstraße als auch das in der Cranachstraße haben den Krieg nicht überstanden. Beides waren Eckhäuser, die sonderbarerweise besonders häufig den Bomben zum Opfer fielen (warum eigentlich ?). Großvater Otto scheint überhaupt eine Vorliebe für Eckhäuser gehabt zu haben - wir erinnern uns, daß sich sein erstes Quartier in Berlin in der Bernburger Straße und die zweite Wohnung in der Werftstraße auch in einem Eckgebäude befanden.
    Durch ein mir bekanntes Foto aus der Wohnung in der Thorwaldsenstraße ist ersichtlich, daß mein Vater damals schon sein Zimmer mit den zum Teil bei mir noch vorhandenen Möbeln eines eichenen Herren- und Arbeitszimmers bestückt hatte. So weit mir von Erzählungen in Erinnerung, hatte er dieses der Witwe eines ihm bekannten oder befreundeten Architekten abgekauft. Man erkennt dieses an der für große Zeichnungsrollen extra gestalteten Ausführung der Schubfächer im Unterteil des besonders schönen Bücherschrankes. Demnach könnten die Möbel, von dem außer dem Bücherschrank noch der kleine, mit einer Kupferplatte beschlagene Rauchtisch, die beiden schmalen Ecktürme einer ehemaligen Sofaumbauung, die beiden Türen des Schreibtisches und schließlich die meinen kleinen Enkel Benjamin immer sehr in Angst und Schrecken versetzende schwarze Gipsbüste des lockigen Johann Wolfgang von Goethe übrig geblieben sind, noch in der Zeit seiner Bautätigkeit, also vor 1910 den Besitzer gewechselt haben. Wenn man schließlich davon ausgeht, daß der vorhergehende Besitzer vielleicht 60 oder gar 70 Jahre alt geworden ist und sich die Möbel so mit etwa 30 oder 40 Jahren angeschafft hat, dann kommt man zu dem Schluß, daß diese vielleicht aus dem Jahre 1870 oder 1880 stammen, also weit über 100 Jahre sind!
    Aus welcher Zeit das imposante Geweih eines kapitalen Hirsches stammt und ob mein Vater diesen wirklich selber geschossen hat, vermag ich nicht zu sagen.

Warum eine Kanone Dicke Berta hieß

Den 1. Weltkrieg erlebte mein Vater als Leutnant und Artillerieführer beim Fuß- Artillerieregiment von Hindersin (1. Pomm. Nr.2 - siehe Schuhkiste im Korridor unserer Wohnung !) an der Westfront, Er nahm an der Beschießung und Erstürmung von Lüttich (Belgien) und Verdun (Frankreich) teil und wurde wie auch sein Vater mit dem Eisernen Kreuz, das mir erhalten geblieben ist, ausgezeichnet.
Mit einer anderen "Auszeichnung" hat er sich dann auch, wie in Offizierskreisen offenbar üblich, selber versorgt - mit einer schönen marmornen französischen Kaminuhr. Diese "Kriegsbeute" schmückte dann bis zu seinem Abriß den Sims des großen Kachelofens im Balkonzimmer der Wohnung am Rudolfplatz. In meinen Kindheitserinnerungen komme ich noch einmal darauf zurück, denn sie hat im Zusammenhang mit einem Kinobesuch eine gewisse Rolle gespielt. Sie existiert auch heute noch - allerdings ist sie nicht mehr gangbar, was ich sehr bedauere. Aber eine Reparatur ist mir derzeit zu teuer!
An der Front befehligte mein Vater damals eine der von Krupp gebauten imposanten schweren 42 cm - Mörser, deren große Leistung zur schnellen Niederkämpfung belgischer und französischer Festungen führte. Die Soldaten hatten diesem Ungetüm, in Anspielung auf die körperliche Verfassung der Erbin des Hauses Krupp von Bohlen und Halbach, die scherzhafte Bezeichnung "Dicke Berta" verliehen. Diese Bezeichnung war so offiziell, daß sie sogar Eingang in die normalen Lexika gefunden hat, also auch in dem unsrigen nachzulesen ist!
Wenn man über die Soldatenzeit meines Vaters berichtet, darf nicht unerwähnt bleiben, daß mein Vater unter anderem eine Eigenschaft besaß, die ich nun leider nicht von ihm geerbt habe und die man vielleicht so ganz allgemein mit einer gewissen persönlichen Ausstrahlung bezeichnen kann. Jedenfalls nannte er eine besondere Eigenschaft sein eigen, die zur Ausübung jener Fähigkeit vorausgesetzt wird, die man allgemein als Hypnose bezeichnet. Mir ist nicht bekannt von wem er diese Fähigkeit erworben hat, ob sein Bruder Kurt als Arzt diese Methode in seiner Praxis angewandt und auch ihm vermittel hat oder dieses rein autodidaktisch erfolgte (ich kann mich jedenfalls noch gut an entsprechendes Lehrmaterial in seinem Bücherschrank erinnern !).
Wie dem auch sei, mein Vater wußte zumindest seine Offizierskameraden in der Etappe damit zu unterhalten und er hat sich, nach Aussagen meiner Mutter auch noch in späterer Zeit darin so vervollkommnet, daß diese seine Fähigkeit auch guten Freunden, Verwandten und Bekannten in Notfällen zugute kam,
Nach seinen glaubhaften Darstellungen besaß er in seinen Offizierskreisen sogar ein so gutes Medium, am dem er eine Fernhypnose demonstrieren konnte, dergestalt, daß er diese Person beim Klavierspiel aus dem Nachbarzimmer (!) im Spiel beeinflussen und auf dem Höhepunkt sogar zum völligen Stillstand seines Spieles bringen konnte.
Mein Vater hat später auch bei mir, zur Beeinflussung einer mir heute nicht mehr gegenwärtigen Krankheit versucht, durch Hypnose eine gewisse Besserung zu erwirken, ist aber bereits in den Anfängen an meinem inneren Widerstand gegen diese mir unheimlich wirkende Methode gescheitert, So weit ich mich erinnern kann, hatte ich einfach Angst, daß er nach so langer Abstinenz seine Praxis verlernt haben könnte, wie er mich wieder aufzuwecken habe und ich befürchtete, daß ich dann ewig in dem Zustand eines Hypnotisierten dahinvegetieren müßte. Soweit zu diesem Thema.
Nach den Wirren des Krieges, wo er im November 1918 für kurze Zeit auch noch im Auftrag des Arbeiter- und Soldatenrates tätig war (ich besitze noch einen entsprechenden Ausweis von ihm !), trat er am 4. März 1920 der ehrwürdigen Johannes - Loge "Friedrich der Große" bei. Sie gehörte zur großen Nationalmutterloge "Zu den drei Weltkugeln" und befand sich in der Splittgerbergasse in der Nähe des heutigen U-Bahnhofes "Märkisches Museum". Noch viele Jahre nach dem Kriege konnte man von der Wallstraße aus Reste des ehemaligen Festsaales erkennen. Mein Vater gehörte der Loge bis zu ihrer von den Nationalsozialisten verordneten Auflösung im Jahre 1933 an. Als ehemaliger "Logenbruder" und Hochgrad - Freimaurer von den Nationalsozialisten als "Plutokrat" verschrien war mein Vater nie Mitglied, der NSDAP und Gott sei Dank auch nicht wehrwürdig! So blieb er vom unmittelbaren Kriegsgeschehen an der Front verschont.
Erst zu Kriegsende, als der vom Untergang bedrohte Faschismus selbst Kinder und Krüppel zur "Verteidigung des Abendlandes" mobilisierte, durfte auch mein Vater als nunmehr 61 jähriger (') zum sogenannten "Volkssturm" berufen, noch einmal eine Waffe in die Hand nehmen, um bis zum "Endsieg" die
Hauptstadt vor dem heranstürmenden "Bolschewismus" zu verteidigen. Glücklicherweise konnte er, ohne von jemandem denunziert zu werden, seine ihm unterstellte Truppe ( als ehemaliger Reserveoffizier hatte man ihm sogar ein Kommando anvertraut ) unversehrt wieder nach Hause schicken bevor noch die Russen eintrafen.

Warum sich mein Vater so mokierte

Nach über fünfjähriger Logenzugehörigkeit, es war also im Jahre 1925, trat ein Ereignis ein, das sowohl für meinen Vater als dann auch für die ändern daran Beteiligten von entscheidender Bedeutung sein sollte.
Wieder einmal war Probenzeit für den Logenchor zur bevorstehenden großen traditionellen Weihnachtsfeier. Mein Vater, der nach Aussage meiner Mutter eine sehr schöne Baßstimme besaß, sang auch im Chor. Da man für einen gemischten Chor, um einen solchen handelte es sich nämlich, natürlich auch die entsprechenden Damenstimmen benötigte, war es üblich für die Probenzeiten (im Gegensatz zu den sonst rein den männlichen Logenbrüdern vorbehalte ne n Riten und gemeinsamen Sitzungen im Tempel) nun auch die Ehefrauen, sonstige Anverwandte, Bekannte und zum Beispiel auch die schon größeren Töchter der Logenbrüder mit einzubinden,
Nach den vom Chorleiter Herrn Borz offensichtlich recht energisch geführten anstrengenden Proben, war es üblich geworden, sich noch eine Zeitlang bei einem lockeren Beisammensein zu entspannen. Da begab es sich, daß mein Vater an solch einem Probentag recht unwirsch bemerkte, daß ausgerechnet am Tische des Pfarrers Habicht dem Logenbruder Gustav A. Müller die außergewöhnliche Ehre zuteil wurde, mit seiner noch sehr jungen, durchaus sehr unscheinbar wirkenden Tochter, Platz zu nehmen. Dazu muß man wissen, daß Pfarrer Habicht nicht nur die Pfarrstelle der benachbarten St. Petrigemeinde, sondern immerhin auch die bedeutsame Würde eines sogenannten "Meisters vom Stuhle" in der ehrwürdigen Johannes - Loge innehatte.
Die nicht zu verbergende Enttäuschung meines Vaters und sein offensichtliches Mißfallen darüber wurden dann noch gesteigert, als sich diese "jung'sche Göre" anschickte am Flügel Platz zu nehmen, um zum Tanze aufzuspielen. Irgend jemand hatte offenbar den Wunsch geäußert, den schönen Abend mit einem kleinen Tänzchen ausklingen zu lassen. Aber wie so oft in solchen Fällen war gerade kein Grammophon zur Hand und es erklärte sich auch niemand sonst bereit den Klavierpart zu übernehmen - nicht einmal Chorleiter Borz!
Logenbruder Müller, sonst als bescheidener, zurückhaltener Mensch bekannt, erlag an diesem Abend offensichtlich der Versuchung, mit dem Talent seiner musikbesessenen Tochter zu wuchern.
"Ja der Sonnenschein, der Sonnenschein hat's fein..." stand zu damaliger Zeit ganz oben auf der Hitliste und das Fräulein "Müller"', noch nicht mal 15 Jahre alt (!) begeisterte alle mit ihrem Spiel, offensichtlich auch meinen Vater - und der stand bereits im 43, Lebensjahr!
Es erfüllt mich auch heute noch mit immer wieder beneidenswerter Bewunderung, wenn ich an die herzergreifende Schilderung denke, die ich nach dem Tode meines Vaters in seinen Tagebuchnotizen, (die meine Mutter später leider vernichtet hat) fand und wo er über das schicksalhafte Erlebnis, nur wenige Wochen nach dieser ersten Begegnung mit meiner Mutter, folgendes berichtet.
Daß er dann beim großen Diner zur Weihnachtsfeier einer "inneren Stimme folgend" den noch nicht freigegebenen, aber bereits festlich geschmückten Speisesaal mit der reich gedeckten Tafel zögernd betrat, am Kopfende derselben ganz allein in dem riesigen Raum, völlig in sich versunken meine Mutter stehen sah, von einem der großen Rosensträuße auf dem Tisch eine der schönsten Blüten abbrach und ihr verbunden mit einem zarten Kuß dieselbe überreichte - und wortlos wie er gekommen war auch wieder aus dem Zimmer verschwand»
Den Sinn dieses ersten zarten Kusses verstand er erst als sie ihm diesen beim Abschied ganz frei zurückgab. Von da an hatte er sich geschworen, sein "liebes Seelchen", wie er seitdem meine Mutter nannte, nie wieder aus den Augen zu lassen.

Warum ein Silberpaar ganz allein bleiben sollte

Mein Vater bemühte sich fortan die Freundschaft des Logenbruders Gustav Müller zu erobern, nur um in der Nähe seiner Tochter sein zu können.
Und dieses muß ihm total gelungen sein. Wenn ich an so manche Episode denke, von der ich seit frühester Kindheit gehört habe, so entsteht heute in mir der Eindruck, daß mein Vater wirklich jede nur erdenklich freie Minute um sie herum gewesen sein muß, und ich frage mich ernstlich, wann der Mensch eigentlich gearbeitet hat. Selbst bei so profanen Dingen wie zum Beispiel einem Lampenkauf der Müllers war er dabei, denn es war die Rede davon, daß bei einem solchen mal das Auto derselben gestohlen werden sollte (so etwas gab es damals also auch schon !) und daß die Alarmanlage (mit der ich später als kleiner Junge immer gerne gespielt habe - sie sah so aus wie das Zahlenschloß eines großen Banktresors) in Funktion trat und daß mein Vater den verhinderten Dieben hinterherrannte, allerdings erfolglos!
Wenn ich weiter daran denke, daß mein Vater damals in Friedenau, die Familie Müller aber am entgegengesetzten Ende der Stadt, in der Nähe des Osthafens, zwischen Oberbaum und Treptower Eisenbahnbrücke, gewohnt hat und er also jeden Abend diese weite Strecke zurückmußte, um am nächsten Morgen wieder frisch ins Büro die auch nicht gerade kurze Strecke bis in die Invalidenstraße zu fahren - muß ich ihn noch heute ehrlich bewundern. Zumal es zu jener Zeit ja noch gar keinen durchgehend elektrifizierten S - Bahn Verkehr gab. (Die erste S - Bahn fuhr erst am 8. August des Jahres 1924 vom Stettiner Bahnhof nach Bernau), Außerdem existierte die Nord - Südverbindung vom Bahnhof Friedrichstraße noch nicht, so daß mein Vater gezwungen war, zunächst mit der U - Bahn vom Bahnhof Warschauer Brücke über Gleisdreieck (umsteigen!) zum Potsdamer Platz um von dort mit der sogenannten "Wannseebahn" schließlich nach Friedenau zu fahren. Auch die Verbindung am nächsten Morgen zum Lehrter Stadtbahnhof war noch keine direkte und konnte nur mit vielen Umwegen erreicht werden. Aber er hat es doch offensichtlich durchgehalten - sieben lange Jahre lang, weit über zweitausendmal.
Im September des Jahres 1926 hatten die Müllers Silberhochzeit, Bereits zu dieser Zeit, das heißt also nur etwas über 1/2 Jahr der Bekanntschaft mit den Müllers, war der Einfluß meines Vaters auf diese schon so weit gediehen, daß er sie geschickt überreden konnte, ihr Jubiläum ganz allein, abseits von allem Trubel mit der ansonsten zu solch einem Fest in Scharen anrückenden Verwandtschaft, weit weg in Bad Reinerz zu feiern. Gustav Müller sollte seiner Silberbraut eine Kur zum Geschenk machen und so geschah es dann auch. Der Silberbräutigam weilte nur für ein paar Tage zum eigentlichen Geschehen am Ort - die 15 jährige Elfriede war für die ganzen vier Wochen mitgereist - und natürlich, so wie er es ja im Geheimen geplant hatte, auch mein ihr auf Schritt und Tritt folgender Vater!
Als Geschenk zur Silberhochzeit bekamen die Müllers übrigens von ihrer Tochter und meinem Vater die schöne Keramikbowle mit den Rheinburgenmotiven, die noch heute auf dem Ofen unseres Wohnzimmers steht. Die dazugehörigen Trinkbecher sind im Laufe der langen Zeit verloren gegangen.
Ostern 1926 hatte meine Mutter ihre Schulausbildung am Lyceum in der Königsberger Str. (der heutigen Straße der Pariser Kommune) beendet. Opa Müller hatte sich inzwischen selbständig gemacht und hatte ein Büro (bevor er es dann später in den 4, Stock der Caprivistraße 6 gleich neben die Wohnung der Familie Mylius verlegte) in der Nähe des Halleschen Tores, in der Lindenstraße Ecke Hollmannstraße, da wo heute das Berlinmuseum ist. Dort hatte nun auch meine Mutter eine offizielle Lehre bei ihrem Vater begonnen, eine Ausbildung mit der man es aber offensichtlich nicht so genau nahm, wenn ich nur an die vier Wochen "Urlaub" in Bad Reinerz denke.
Es war für meinen Vater natürlich nur folgerichtig auch in den Motorbootclub am Rummelsburger See in Stralau einzutreten, denn Gustav Müller hatte dort sein neues, über 8,00 m langes und auf den Namen "Sonnenschein" getauftes Motorboot zu liegen. Nur unschwer zu erraten, daß mit dem Bootsnamen ihr heißgeliebtes Töchterchen gemeint war. Aber der "Erfinder" dieses Namens war mein Vater. In Erinnerung an ihre erste Begegnung im Logenhaus und in Anlehnung an den damals von ihr gespielten Titel hatte er ihr diese Titulierung zugedacht.

Warum bei Georg "hinten schwarz aufzog"

Von vielen schönen Fahrten habe ich während meiner Kindheit aus Erzählungen gehört, von den Ausflügen nach Wolzig (wo zum Beispiel die Hochzeit der Philipps gefeiert wurde) oder von der unfreiwilligen Strandung auf einer Sandbank nahe der von den Bootsfahrern gefürchteten "Bammelecke" in Grünau - Karolinenhof.
Es gab ein geflügeltes Wort in der Müller'schen Familie, das hieß: "Bei Georg zieht es hinten schwarz auf!" und das bezog sich auf die Wettervorhersagen meines Vaters. Dieser war nämlich bei vorgesehenen Ausflügen mit dem Motorboot für die jeweilige Wetterprognose zuständig und das kam so.
In der Zeit als er meine Mutter kennenlernte war mein Vater, wie wir bereits wissen, in der Preußischen Geologischen Landesanstalt beschäftigt. Diese Institution befand sich in der Im Invalidenstraße direkt neben dem Naturkundemuseum, das ja auch heute noch dort seinen Sitz hat. Auch das respektable Gebäude der Geologischen Landesanstalt hat den Krieg überdauert und wird gegenwärtig als zukünftiger Sitz des Bonner Bauministeriums gehandelt.
In der Eingangshalle des Gebäudes befinden sich zwei wuchtige bronzene Löwenstatuen, ein schlafender und ein wachender Löwe, die ich als Kind immer sehr bewundert habe. Von dem wachenden Löwen befindet sich noch heute ein verkleinerter Abguß als Rest eines Briefbeschwerers in meinem Bücherschrank.
Mein Vater nun, saß dort im Westflügel des Gebäudes im obersten Stockwerk in einem sehr schönen großen Büroraum, dem ein langer großer Balkon vorgelagert war und auf dem er Tomaten züchtete, die uns dann später in der obstarmen Kriegszeit eine willkommene zusätzliche Nahrung bedeuteten.
Von dort hatte man aber auch direkt über den angrenzenden damaligen Invalidenfriedhof, dem heutigen Invalidenpark, bis weit hinter das Poststadion hinaus einen ungehinderten herrlichen Blick weit in südwestlicher Richtung bis an den Horizont der Stadt.
Wenn nun bei Müllers eine Motorbootfahrt oder aber ein anderer längerer Ausflug am freien Sonnabendnachmittag geplant war, rief man einfach bei Georg Otto im Büro an und erkundigte sich nach der Großwetterlage. Mein Vater ließ dann seinen Blick über den wetterbestimmenden westlichen Horizont schweifen und wenn von ihm durchs Telefon die Nachricht kam: "Bei mir zieht es hinten schätz auf!" - dann konnte man alle Planungen mit Sicherheit abbrechen, denn eine diesbezügliche Wetterprognose meines Vaters war mit absoluter Wahrscheinlichkeit sicherer als jeder amtliche Wetterbericht im Radio.
Bis in meine Kindheit hatte sich die Gepflogenheit erhalten bei Bedarf meinen Vater im Büro anzurufen und nach der Wetterlage zu erkundigen und selbst im Urlaub hieß es immer dann, wenn sich mal schlechtes Wetter abzeichnete "bei Vati zieht es hinten schwarz auf!"

Warum die Müller schließlich nachgaben

Meine "Oma Müller" sah der immer enger werdenden Verbindung ihrer Nichte Elfriede mit dem um 27 Jahre älteren Mann mit großem Argwohn entgegen und versuchte offensichtlich verzweifelt, wann immer sich eine Gelegenheit dafür anbot, das blutjunge und unerfahrene Mädel seinem besitzergreifenden Einfluß zu entziehen. Eine Gelegenheit dazu ergab sich, als sie mit ihrer Nichte Ursel, ihrem Adoptivsohn Werner und meiner Mutter im Juli des Jahres 1929 gemeinsam für ein paar Tage der Hitze in Berlin entflohen und in die Sächsische Schweiz in den Urlaub fuhren. Einer noch vorhandenen Postkarte, die meine Urgroßmutter nach Krippen schrieb, ist zu entnehmen, daß dieses mal mein Vater in Berlin bleiben mußte, Denn es ist zu lesen: "Kurt ist schon bei Herrn Otto"! Offensichtlich hatte mein Vater wieder einmal Außendienst und Kurt Scheel, Mutti's Cousin, besserte sich sein Taschengeld bei ihm mit Hilfsarbeiten auf.
Meine Mutter erzählte mir, daß mein Vater seinem Freund und Logenbruder Gustav Müller während dieser Zeit die Ohren vollgejammert hat, weil er nicht bei seinem "Sonnenschein" weilen konnte.
Von einer weiteren Eintragung meines Vaters in seinem Tagebuch weiß ich, daß Hedwig Müller, kurze Zeit danach die etwas längere dienstliche Abwesenheit meines Vaters ausnutzend, versuchte, durch die Teilnahme ihrer Tochter an einem Manöverball eine Wende herbeizuführen. Offensichtlich hegte sie dabei den geheimen Wunsch, daß meine junge, temperamentvolle Mutter einen eher zu ihr passenden, jüngeren Mann kennenlernt.
Ich weiß, daß mein Vater, als er kurz danach davon erfuhr und nach seiner Schilderung auch noch die Spuren dieses Ereignisses auf dem Gesicht meiner Mutter bemerkte (er schrieb etwas von "zerbissenen Lippen" und davon, daß er wußte wie es in dieser Beziehung so auf Offiziersbällen vorsichging) vor Eifersucht fast wahnsinnig geworden ist.
Da die Müllers, speziell aber der Logenbruder Gustav, nunmehr die Freundschaft zu meinem Vater nicht leichtsinnig aufs Spiel setzen wollten und zudem auch der Meinung waren, daß die ihnen anvertraute Elfriede wohl kaum einen anderen Mann finden könnte, der sie so abgöttisch liebte, billigten sie schließlich die nun wohl kaum mehr vermeidbare Verbindung.
Aus Rücksichtnahme zu ihrem leiblichen Vater Otto Omenzetter, der sich ebenfalls, wie Hedwig Müller stets strikt gegen eine Heirat seiner Tochter mit dem um so viele Jahre älteren Mann aussprach, (mein Vater war ja schließlich 3 Jahre älter als sein zukünftiger Schwiegervater !) wollte man aber damit bis zur Volljährigkeit meiner Mutter warten, um jede Verantwortung von sich zu schieben, wenn die Sache schief laufen sollte.
Sofort nach der Volljährigkeit meiner Mutter am 25. Dezember er 1931 (zur damaligen Zeit wurde man ja erst mit 21 Jahren volljährig !) aber haben sich meine Eltern dann in der Silvesternacht zu 1932 verlobt.
Nun war endlich auch der Weg frei, die nunmehr offizielle Braut der Familie Otto in Spandau zu präsentieren. Gleich Anfang des Jahres 1932 fuhren meine Eltern nach Spandau zur Kirchhofstraße Nr. 2 - und die Otto'schen Kinder Gisela (sie stand kurz vor ihrem 14, Geburtstag), Hans - Jürgen (mal gerade 11 Jahre alt) und auch Almuth die jüngste Tochter waren von ihrer zukünftigen jungen Tante schwer begeistert.
Mein Cousin Hans - Jürgen schreibt dazu in seinen Memoiren "Remembered and Retold" auf den Seiten 27 und 28 unter anderem folgendes über den Besuch und über meine Mutter:
"An einem Sonntag wünschte meines Vaters Bruder, Onkel Georg seine Verlobte mit zu uns zu bringen, ,,,s/e war sehr hübsch. Zwei strahlende Augen über einer süßen Nase und schmalen Lippen beherrschten ihr Antlitz, Ihre Stimme hatte einen silbrigen Klang, kombiniert mit einem freundlichen Lächeln, Ihre Gesichtszüge vermochten jedwede Gemütsbewegung zu reflektieren, ...sie hatte eine schlanke, jedoch gut proportionierte Figur. Sie war elegant gekleidet und trug eine Blume im Haar."

Und er schreibt weiter in seinen Erinnerungen: "Onkel Georg bemerkte, daß die Pflegeeltern seiner Braut ihm nicht die Erlaubnis gegeben hätten sie zu heiraten, bevor sie nicht volljährig sei. Und er setzte hinzu - wartet nur, bis ihr sie näher kennt, ihr werdet euch auch alle noch in sie verlieben - wie ich!"
Am Schluß dieses Abschnitts bemerkt Hans - Jürgen dann: "...der restliche Abend war angefüllt mit Lachen, Singen und Tanzen, Die ganze Familie ließ schließlich Friedel und Onkel Georg nur ungern gehen. Onkel Georg hatte recht behalten - wir alle hatten uns in Friedel verliebt!"
Ich selber, als ich das zum dritten oder vierten Male las, hatte dabei ganz andere Gedanken, nämlich die, wie mein Vater nach diesem bestimmt sehr schönen und anregenden Abend, an dem es nach den weiteren Schilderungen meines Cousins sehr spät geworden war, überhaupt von Spandau wieder nach Hause gekommen ist. Erst den weiten Weg durch die ganze Stadt zurück zur Caprivistraße und dann von dort wieder durch die halbe Stadt nach Friedenau in die Thorwaldsenstraße - mit dem Nachtverkehr muß es damals in der Weltstadt Berlin besser bestellt gewesen sein, als heutzutage!
Am 20. Oktober 1932 endlich war dann die Hochzeit meiner Eltern. Getraut wurden sie natürlich vom "Meister vom Stuhle" und Pfarrer von St. Petri Herrn Habicht in seiner Kirche, die vor ihrer Zerstörung im Kriege am Ausgang der Breiten Straße stand, auf dem großen freien Platz wo heute die Autos parken.