Riga,den 1.Oktober

4 Uhr früh im Treppenhaus
Ja, und nun ist es doch schneller gegangen, als ich dachte, letzten Freitag noch nichts ahnend beim Segeln, heute sitze ich hier mitten in der Nacht vor verschlossener Tür und bewundere den tiefen Schlaf der Bewohner des D.R.K. (Deutsches Rotes Kreuz ) Gästehauses. Letzten Samstag früh fuhr ich nach München herein, konnte mich nicht mal mehr von Mutter Beer verabschieden, um halb 11 Uhr holte ich die Einberufung auf der Kreisstelle und dann ging der Tanz los. Polizeipräsidium 2 mal, Bank, Karten, Polizei, Landesstelle, Versicherungsamt, Finanzamt - langsam lerneich München doch noch kennen. Dazwischen Wäsche waschen, bügeln, flicken, alles noch erledigen für lange Zeit. Montag Abend muss ich fahren, es haut mit der Zeit so eben hin. Aber das Gepäck macht mir Sorge, Richard kommt nochmal herein, bringt 2 Kuchen mit von Mutter Beer, den einen essen wir gleich vollkommen auf, mitnehmen kann ich ihn ja nicht mehr. Von Gretel habe ich auch noch einen Kuchen. Also bis Berlin ging’s schön 2. Klasse im Verwundetenabteil. Auf dem Präsidium kurze Anweisung, schnell bin ich wieder draußen und ziehe nach Babelsberg.Dort bekomme ich einen Rucksack und ein Riesenpaket warmer Sachen. Im Regen ziehe ich damit ab,lasse es gleich am Bahnhof Zoo. Ich bringe es nun auf 7 Gepäckstücke, wie wird das auf die Dauer werden? Schließlich habe ich auch das andere Gepäck am Zoo - ich schwitze vor Anstrengung. Nun soll ich nochmal nach Spandau hinauskommen, tue es auch ganz gerne, was soll ich auch sonst in Berlin herumlaufen. Furchtbar nett werde ich wieder empfangen, ein schnell gebackener Kuchen steht auf dem Tisch, abends bekomme ich ein großes Stück Fleisch und herrliche Schokoladencreme. Alles mögliche soll ich noch mitnehmen, aber wo unterkriegen? Schließlich muß ich noch Jürgens Uhr anziehen und die goldene dalassen. Frau Otto und Allmuth bringen mich um 11 Uhr nachts sogar an den Zug, und ich muß sagen ich war zum Schluß heilfroh. Der Zug lief nämlich um 10 Minuten vorher ein und wurde regelrecht gestürmt. Mich stieß man zwischen 2 Waggons in die Tiefe, plötzlich fand ich mich auf dem Gleis wieder. Da fing ich aber doch das Schimpfen an. Schließlich ließ man mich vor Einen alten 2. Klasse Wagen hatte ich erwischt und gleich Platz belegt. Da ergoss sich über mich die Sinflut. Tornister wurden hereingeschmissen, alles auf meine Füße 1,2,3,4,5 Landser kletterten nach, ich konnte mich nicht mehr rühren. Aber mit Humor geht alles.Schließlich gabs noch mehrere Händedrücken, ein Winken,ein Aufwiedersehen und ich war mit einem Waggon voll Männern und Gepäck allein. Langsam lichtete sich das Tohuwabohu und man versuchte auf engstem Raum sitzend ein wenig zu schlafen. Aber rühren dürfte man sich um keinen Zentimeter. Zwei Fliegerunteroffiziere waren recht nett, traktierten mich mit Obst,Schokolade und Bohnenkaffee.Ich war von meinem Sturz noch vollkommen verdreckt und erst in Insterburg gelang es mir wenigstens die Hände zu waschen. Es war ein schöner Tag, weit dehnte sich das Land, viele Pferde und Kühe sah man, Brücken, Heide und ab und zu Tannenwald. Stunden um Stunden dasselbe Bild. Nach Tilsit die ehemalige Grenze. Und sofort fällt es auf: keine Steinhäuser mehr, schmutzige kleine Katen, meist nur eine Stube, Ziehbrunnen, ziemlich verwahrloste Menschen schauen mit sturem Blick wie der Zug vorbeisaust. Nur die Bahnwärterhäuschen sind noch aus Backstein, davor steht richtig stramm eine Frau an der Weiche in Zivil mit dem Schiffchen der Reichsbahn auf dem Kopf. In Krottingen die neue Grenze. Ein langer Zug in die Verpflegungsbaracke.Ich gehe halt mit, besonders da die Soldaten mir tragen helfen. Nach einer halb Stunde gehts weiter. Plötzlich kommt die Zugwache: Schwester Sie müssen vorne einsteigen Wagen 9. Der nächste sagt Wagen 7. Ein Oberleutnant ergreift mein Gepäck und lotst mich in den Offizierswagen. Da kommt wieder die Zugwache und schmeißt mich hinaus. Ich muss zum „ Wehrmachtsgefolge „. Das ärgert mich. Aber ich bekomme mit einer Stabshelferin, die recht nett ist, ein Abteil 3. Klasse allein. Doch ziehen wir nochmal um, im Abteil nebenan steht ein eiserner Ofen,der gerade von einer Litauerin geheizt wird. Wir versuchen zu schlafen, die Bänke sind hart und zu kurz. Um halb 3 Uhr stehen wir am Rigaer Bahnhof. Schließlich stolpere ich mit dem Gepäck in die Verpflegungsstelle. Nach langem Hin und Her gibt man mir jemanden von der Bahnhofswache der mich weiter führt. Ja und jetzt muß ich schauen, wann jemand aufwacht. Langsam rührt sich schon was auf der Straße.