Tobelbad, den April 64

Lieber Kluti1

Ein seichtes Briefchen. Noch seichter.
Falls mir überhaupt etwas Schwierigkeiten macht!? Diese Stelle ist mir am deutlichsten haften geblieben, weil sie meinen größten Protest auslöste. Daß ich mich immer gegen die überhebliche Meinung anderer von mir zur Wehr setzen muß.
Hoffentlich, eine wenig begründete Hoffnung, werde ich nicht an Mathematik scheitern.
Ich bin geistig verödet, eingerostet, verrottet, verfault, in Auflösung begriffen, und es wird mir große Schwierigkeiten machen, Zucht und Ordnung, System und Ausdauer in die Denkmaschine zu bringen. Aber eins nach dem anderen, jetzt muß ich erst meine Muskeln zur Räson bringen. Darum bin ich, mit Verlaub, an Naturwissenschaftlichem nicht interessiert, was Dich aber nicht hindern sollte, doch über Erfahrungen mit der exakten Wissenschaft zu berichten. Ich werde nur kein Echo darauf geben.
Im Laufe des Sommers werde ich nach Hause zurückkehren, aber ob ich im Wintersemester weiter-studieren werde, weiß ich noch nicht. Ich will ordentlich anfangen, und nicht von Anfang an mit der lückenhaften Grundlage eines verschluderten ersten Semesters den Ballast des Nicht-verstehens vor mir herschieben.
Nevertheless.
Warum reagiere ich so heftig?
Mir liegt das Studium wie ein unverdaubarer Klotz im Magen.
Im übrigen sonne ich mich, widerstehe mehr oder weniger erfolgreich den Versuchungen des Essens, Trinkens, Rauchens und was der Laster mehr sind, die ein Auto, Geld und eine verlotterte Umgebung mit sich bringen.
Ein wenig arbeite ich auch, ich rehabilitiere mich, wie man mit spottender Zunge sagen kann. Immerhin hast Du Deinen Brief recht prompt beantwortet bekommen, selbst mein Deutsch geht vor die Hunde, obwohl ich immer noch einen guten Tag sage
Dein Bernd


  1. Zum 1.4.64 war ich aus der Bundeswehr entlassen worden und begann im folgenden Sommersemester mein Mathematikstudium an der Universität Bonn. Die Pläne Bernd in den USA oder London zu operieren hatten sich nicht verwirklicht, stattdessen war er nach einer weiteren Operation in Bonn zur Rehabilitation nach Tobelbad gekommen. Aus dem Sommer 64 stammen die folgenden Briefe aus Tobelbad.