Lieber Kluti,

es fällt mir schwer zu schreiben, physisch wie psychisch, aber Deine Briefe, das unterbrochene Telefongespräch und die Zeit, die seitdem vergangen ist, erheischen einen Brief.

Zuerst das Wichtigste.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Du kommen würdest, falls diese Woche trotz meiner unmöglichen, unhöflichen Nichtreaktion immer noch verfügbar ist. Die Zeit ist frei wählbar, denn die Steiermark ist nicht so überlaufen, daß nicht immer noch kurzfristig ein Bett aufzutreiben wäre.

Weiter.

Physikalische Bücher und Skripten habe ich entweder mitgenommen oder zurückgegeben oder im Regal zurückgelassen. Eingepackt habe ich keine, wenn ich mich recht erinnere.

Einiges zu Deinen Briefen.

Da ich „Zeit“ und „Spiegel“ ziemlich regelmäßig lese, fühle ich mich zusammen mit Deinen Zeitungsausschnitten über die „Studentenunruhen“ recht gut informiert.

Deine Zeitungsausschnitte sind, bis auf eine kleine Ausnahme, die von einem Windstoß nicht mehr zurückkehrte, vollzählig im Nachtkasten versammelt. Im Herbst möchte ich auch in die Studentengewerkschaft.

Einen Teil Deiner Einleitungssprüche verstehe ich nicht (Zahlen, Sprüche aus Babylon), ein Teil ist zumindest physikalischer Unsinn („Wohin geht das Licht, wenn es nicht leuchtet [aus geht]?“), ein Teil gefällt mir gut, („Der Verstand ist unfähig seine eigenen Voraussetzungen zu schaffen...“ [Herrman] Broch), wenn mir auch der begründende Vergleich unzulässig extrapoliert erscheint. Die Unmöglichkeit des sich selber erzeugenden Geistes liegt mehr im Vergleich als in der Wirklichkeit, kommt mir vor.

Ein kleiner Versuch einer Erklärung meiner Schweigsamkeit.

Neben anstrengender körperlicher Arbeit, einem Sportfest, dessen Tischtennis Einzel- und Doppelspiel ich mitgewann und in dessen Leichtathletik Fünfkampf ich mit einer, wie man sagte „auch international beachtenswerten Leistung“ Zweiter wurde, gibt es , wie ich glaube, einen Grund, der dem ähnelt, der Dich in die Studentengewerkschaft, in die Aktivität der Opposition getrieben hat, ein weibliches Wesen. Sie absorbiert einen großen Teil der verbleibenden Energie.

Schreib, ob und wann Du kommen willst.

Herzliche Grüße an Deine Eltern

Dein

Bernd


Ich schrieb liegend und mit zitternden Armen.