Gustav Gerhardy schreibt an seine Eltern am 19. Oktober 18801

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L. Eltern.2
gestern Mittag um 2:00 Uhr von l. O. auf das herzlichste auf dem Bahnhof empfangen. Tante Lina geht es jetzt wieder besser. Sie sagt, Sie hätte sich in den schönen Tagen so schön erholen können, und nun liege Sie stattdessen schon drei Wochen wieder fest. Solche akrobatischen Luftsprünge sind ohne Stuhl schon schwierig, wie viel schwieriger mit Stühlen und sogar mit einem Rollstuhl. Recht böse ist die Tante über eine Äußerung, des Koppen vertretenden Arztes gewesen, der die Sache recht leicht genommen zu haben scheint. Als derselbe Sie untersucht und nur Kontusionen3 gefunden, soll er gesagt haben, in ein paar Tagen ist es wieder vorüber, die Sache ist nicht so schlimm. Die Kl. Kinder fallen noch viel öfter auf ihren Popo und das schadet Ihnen auch nichts. Durch diese Bemerkung hat der Vertreter natürlich bei der Tante Lina verspielt. Ich glaube aber doch, daß derselbe Arzt mit seiner ersten Aussage, daß die wache nicht so schlimm wäre, einigermaßen Recht hat; denn nach 4 Tagen ist die… wieder ganz gut genesen. Statt daß sich die Tante nun aber noch ruhte, nein da plagte Sie wieder die Unruhe, nach Luft und Licht … und läßt sich in den Garten transportieren, die Folge davon war die sofort eintretende Verschlimmerung, an deren Nachwehen sie jetzt noch zu leiden hat. Ihre rothen Backen, sagt Sie, sind wieder verschwunden. – Gestern wir nach dem Essen auf Jagd. Onkel schoss ein Häslein, ein zweites ließ er, wegen allzu großer Jugend durch die Lappen gehen. Wenn auch der Onkel bereits sechs Hasen geschossen hat, so ist doch die Jagd im ganzen nur schwach. Er bezahlt im Durchschnitt für jeden Hasen 5-6 Thaler. Teure Hasen, wenn Passion und frische Luft nicht in Anrechnung gebracht werden. Rechnet man den so genannten Hund dazu, da wird wohl jeder Hase auf 7-8 Taler im Preise steigen. Der Onkel ist aber ganz wohl. Hat sich gestern die Schleier ganz gut munden lassen ebenso Tante Lina. ... ... ... Nacht ohne Injection ganz gut geschlafen hat. Ihr Appetit ist ganz gut und einen solchen Kranken könnte man doch wieder auf die Beine verhelfen.
Gestern Abend waren wir bei Rühl und haben die Grüße an die Grüßbaren Leute von Heiligenstadt überbracht. ... Vater ist sehr stark und dick geworden. Wir haben uns mit ihm sehr lebhaft über das soeben gestern beendete mündliche Abitur unterhalten, wobei zwölf glückliche Menschen mehr herauskommen. Ein armer dreizehnter; bereits stud. can in Leipzig Gewesener, weswegen er auch bei allen seinen schriftlichen Abiturarbeiten seinen Namen mit Stud. cann unterzeichnet hat, trat auf Anrathen vor beendeter mündlicher Prüfung zurück, nachdem ihm dasselbe Ding bereits schon einmal in Nauenburg passiert war.
Der Sohn des Direktors Grimme, dessen Licht Onkel Hermann noch nirgends hat Preisen hören ist trotzdem, auf einem wohl nicht mehr ungewöhnlichen Wege, vom mündlichen Examen dispensiert.
Man sollte gar nicht glauben, wie die Lehrersöhne in so kurzer Zeit und was für gelehrte Hühner werden. "Nachsicht der Väter, Nachsicht der Collegen, ich greife Euch!"
Soll mal ein anderer Vater von Gymnasiasten, diesen Schulmeistern mehr … theils Bauernjungen, opponieren und diese sollen ihm persönlich nichts anhaben können, welche Devise wählt sich dann diese Blase: "Rache den Söhnen!" und wenn erst mal diese ... gesagt haben, der Junge ist stupide, dann ist derselbe mit unfehlbarer Sicherheit allgemein als Schwachkopf verschrien, und kann sich nur durch 2 Wege wieder .... Der nun ist, er geht und versucht sein Heil woanders, wenn gleich, so er dort …, dies nicht anerkannt wird von den alten …, von wegen der Vorurteile, der andere Weg ist der, daß der Vater die Schlaufen seiner Börse ziehen muß, und den gähnenden Rachen der geldgierigen Ungeheuer durch einige Goldstücke schließen muß, um seinen Sohn plötzlich zu einem sich schnell erleuchtenden ... zu .... Der letzte Weg ist der ... … … … von allen.
G.


  1. beantw. per Karte 21./9 

  2. Transscription durch Sibylle Fährmann 

  3. Quetschungen