Gustav Gerhardy an seine Eltern, Hillesheim, den 13.09.1882

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Hillesheim, den 13.09.82

Liebe Eltern1 Endlich heute finde ich die Zeit, Euch ein Lebenszeichen von mir zu geben.
Ein derartiges Manöver habe ich noch nicht mitgemacht, wie das diesjährige. In jeder Beziehung miserabel. Bis jetzt haben wir während der ganzen Periode 4 regenfreie Tage zu verzeichnen einer davon war der Biwackstag am 5. zum 6sten den ich als Feldwachtkommandeur bei Mutter Grün unter freiem Himmel schadlos hingebracht habe. Am 7ten war Ruhetag und rückten wir am morgen um 5 Uhr nach Berndorf in scheußliche Quartiere. In meinem Bette, daß ich zur Unterkunft angewiesen bekommen hatte, fand sich ein sehr ausgeprägter Geruch nach Kuhstalldragoner2 und Gänsestitzwärter vor, der sich in dem kleinen Raum bei geschlossenem Fenster zu einer fast unerträglichen Intensität steigerte. Ich würde das Lager verlassen haben, trotzdem ich schon meinen Leichnam durch Bestreichung mit Insektenzuckertinktur vor den wütenden und unaufhörlichen Angriffen der schwarzen, springenden Hinterlassenschaften meiner edlen Vorgängerin gefeit hatte, aber die Müdigkeit, der Gedanke zu ruhen, in den jenes Idol aller Kuhmägde ihren woniglich (duftenden) Leib gepflegt, sowie die einheimelnde Wärme, welche mir um 6 Uhr morgens aus dem soeben verlassennen aber schleunigst frisch überzogenen Musterbette, an meine Glieder strömte, ließen mich alle Manöverbeschwerden vergessen und der Schlaf, totenähnlich, wie zu erwarten, lößte die ermatteten Glieder. Dies war die erste Folge der in Folge der Vermeidung der Postendistrierte angeordneten Dislorationsveränderungen, die uns außerdem Marschleistungen von 5 ½ bis 6 Meilen aufgenötigt haben. Nach einer solchen 6 Meilen betragenden Leistung kam ich ins Biwack und auf Feldwache und habe die Nacht fast kein Auge zugetan. Am 8ten Morgens führte Stoll auf der Gegenpartei. Sein eigenes Battalion war auf feindlicher Seite. Ich erhielt den Befehl bei ihm zu eroquilten, wurde aber von Zolli Koffer, seinem Gegener, unserem Kommandeur nicht mehr fortgelassen. Das für mich bestimmte Pferd stand vergeblich in Berndorf. Dies war für beide Theile sehr schmerzlich, da ich vor dem Manöver, eigens zu diesem Zwecke noch ein paar Aufschnallsporen habe kaufen müßen. Am (folg) Nachmittag nach der Übung wurde ich zu Stoll befohlen und erhielt hier den Auftrag das ...quis trotzdem anzufertigen und bin ich zu diesem Zwecke seit vorigem Donnerstag aus der Front. Ich habe 5 schwere Übernachtungstage mit zwei Biwacks und Nothquartieren gefunden. Das erste Biwack ist so veregnet, daß die Truppen statt ins Zweite Biwack in Nothquartiere rückten. Da nun morgen Ruhetag ist, so habe ich volle 8 Tage kein Manöver mitgemacht, statt dessen aber ein riesiges ...quis mit Bergstrichen, wie hier leider Vorschrift ist, weil die alten Herren die Horizontalen nicht zu lesen verstehen, ausgezeichnet, daß ich nachher, sobald die Truppen eingerückt sind, dem edlen Stoll zu überreichen gedenke. Er wird mit mir zufrieden sein, den es ist mir noch besser gelungen, als das vorjährige. Mitteilen kann ich ferner noch, daß ich wieder einen Paß gemacht habe und nunmehr der 17te Res.Lt. Unseres Regimentes bin sowie am 20. Oktober 7 Hinterleute zu verzeichnen haben werde. Nixdorf der Adjudant unseres Batallions ist Lt. geworden; (Oberleutnant) von Martitz ist als Hauptmann und Terrainlehrer an die Kriegsschule Anklam versetzt. Ich habe Wohnung mit Beschlag bellegt und ziehe vom ersten Oktober ab aus dem Gartenfeld in die Siemonsstraße beim Römerthor (porta nigra). Witwe Kraft Dies ist aus folgenden Gründen geschehen. Am 8. Oktober erhalte ich die vierwöchentlichen Ersatzreservisten unter Premier Leutnant Rietsch als Kompanieführer. Diese Reservisten haben ihren Dienst in den Baracken, welche von Gartenfeld 20 Minuten entfernt sind, während ich von meiner neuen Wohnung nur 4 Minuten zu gehen habe. Ferner, da ich von jetzt ältester Waffenrevisionsoffizier wurde, weil Beck als Commandeur ausscheidet, so muß ich jeden Tag mindestens einmal nach der Büchsenmacherei und meine jetzige Wohnung liegt nur 4 Minuten ab. Ich werde überhaupt wohl in gleicher Absicht von Stoll zu einer, der in der Maximin Kaserne gelegenen Kompanien versetzt werden, da ich dann sowieso jeden Tag an der Büchsenmacherei meinen Dienst habe. Vielleicht kann ich zur 4ten Kompanie zum Hauptmann Bartholomaeus, welcher ein Bruder ist von dem Buchdruckerei Besitzer auf dem Anger in Erfurt und der sehr nett sein soll rep. Ist, wenigstens war er es bis jetzt immer gegen seine Offiziere. Unserem lieben v. Puttkamer würde es wenigstens nichts schaden, wenn er einen der jüngsten Offiziere als Rekrutenoffizier bekommt, dann muß er wenigstens seinem über alle militärischen Begriffe gesunden Phlegma entsagen und sich selber mehr um seine Kompanie resp. Rekruten kümmern, was er dabei für ein Gesicht machen wird, das kann ich mir jetzt schon denken. Doch genug. Für die Zulage für September meinen ganz verbindlichsten, zumal die Manöver-Rothweinrechnung etwas groß geworden. Auch für Leopolds Karte einen herzlichen Dank. An die Beantwortung des Geburtstagsbriefes von Sofiechen komme ich, falls Stoll mir keinen Querstrich macht, voraussichtlich morgen früh. Es grüßt und küßt Euch und Alle, denen es willkommen ist, Euer, wie ihr seht, im übrigen ganz bierfideler und über das herannahende Ende des Manövers hocherfreuter Sohn Gustav


  1. Beantwortet 16./9.82 Herrn von Westernh möglicherweise von Westernhagen, ein Cousin über die Schwester seiner Mutter 

  2. Kuhstalldragoner vermutlich Stallmagd, da der Küchendragoner die Köchin ist.