Gustav Gerhardy an seine Eltern


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Beantw. v. Adele u. mir am 4. u. 5 82

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Trier, den 2. April 1882 herzliebe Eltern heute ist der Jahrestag meiner An-
kunft in meinem neuen Garnisonsort.
Gestern morgen um 2:10 habe ich von Euch,
von Erfurt und von meinem lieben alten
Regiment Abschied genommen und nur
ganz kurze Zeiträume werde ich Euch in die-
sem getrennten Leben2 noch widmen kön-
nen. Gestern sowohl wie heute habe ich die
ganze Versetzung mit all ihren geistigen und
leiblichen Folgen noch einmal psychisch durch-
lebt. Gut war es, daß ich, trotz Sonnabend
den ganzen Nachmittag Dienst hatte, und in
sofern von so vielen traurigen Vergleichen
des Sonst und Jetzt abgelenkt wurde. Auch
hielt es mich nicht am Abend zu Hause. Ich
ging ins Civilkasino und traf dort von
Aweyden, den ersten Kameraden vom neu
en Regiment, mit dem ich, wie Ihr Euch er-
innern werdet, von Eisenach ab hierher
die Reise zusammenmachte. Wir wollten
zusammen einen Skat spielen, aber wir
waren so wenig beim Spiel in Folge der
Rückerinnerungen, daß es nach kurzer Zeit
ganz eingestellt wurde und so plauderten
wir weiter bis gegen /1 Uhr, der Stunde
wo das edle Dampfroß uns nach Trier hin
führte. Dann gings nach Hause und
ich habe einen Schlaf gethan der zwar an
Dauer, nicht aber an Intensität zu wünschen
übrig läßt. Jetzt, wo ich schreibe, ist es 8 1/2
Uhr, der Morgenthee ist bereits eingenommen
Kaffe und Milch habe ich jetzt aufgesteckt
der Kaffen, wenn ich immer guten trinken
will und solchen mag ich nur ist zu theuer.
Die Milch ist noch theurer. Das Liter gute
Kuhmilch aus der hiesigen Milchgenossenschaft
die andere, die ich verschiedentlich probirt, tauge
wenig, kostet 30 R; macht im Monat 930 R.
der Thee ist das Rentabelste. Und statt der
nährenden Milch, will ich lieber einige Dutzend
Eier im Monat mehr schlucken. Das Dutzend
kostet jetzt hier im Durchschnitt 65 R, eigentlich
doch ein kolossaler Preis gegen Erfurt, wo
man für das gleiche Geld drei Eier mehr be-
kommt. Dabei befinde ich mich aber ganz
wohl und kräftig. Husten Heiserkeit um
Schnupfen haben sich wieder zum Teufel
gescheert, wo sie auch bleiben mögen
bis in alle Ewigkeit. Hauptsächlich ist
das dies Folge des prachtvollen Weters-
der Anfang des heutigen Jahers und Sonntage
ist wirklich unvergleichlich schön, ganz anders
wie im vorigen Jahre, wo es permanent
vom Hinmal rieselte. Schon seit 7 Uhr scheint
die Sonne so hell und warm in mein Zimmer
daß ich es in den Federn oder vielmehr unter
meiner Steppdecke nicht mehr aushalten konnte.
Ich sitze im tiefsten Civilibus3 am offenen
Fenster, Herr und Hund zu meinen Füßen
lassen sich von der lieben Sonne bescheinen
und durch die Stille tönt das Gezwitscher und
der Gesang der unendlich vielen Singvögel
in den umliegenden Gärten. Meine jetzige
Wohnung ist prächtig gelegen und eine ge-
sundere Luft wie sie hier von Berg, Wiesen
und Gärten weht giebt es4 in Trier
nicht sondern nur in den Vorstädten


  1. vermutl. Kürzel für Gerhardy 

  2. (Eu) - verschrieben  

  3. civilibus - Adjektiv Maskulinum von civilis bürgerlich, öffentlich, patriotisch 

  4. (nur) - verschrieben