Gustav Gerhardy schreibt am 3. Juli an seinen Vater

Seite 1 Seite 2 Seite 3 Seite 4 Seite 5 Seite 6 Seite 7 Seite 8

Trier, den 3 Juli 1883

Herzlieber Vater1
Nicht2 der Empfang der Zulage, sondern der Schmerzensseufer auf dem Abriß der Begleitkarte drängt mich dazu, den in diesem Jahre zum ersten mal in der Woche zu meiner Schonung frei gelassenen Vormittag zu benutzen, um mit meinem schwachen Trost zu Dir zu eilen, der Du anfängst, jetzt, wo nun unser eigentlicher Sommer erst beginnt zu verzagen.
Ich weiß und verstehe ja, was Dein väterlich sorgendes Herz am meisten drückt, und was Dich wie ein Gespenst verfolgt, weil Du, wie ich glaube, die Folgen Deiner notwendigen Pensionierung viel zu schwarz malst, aber die Zeit ist ja doch noch nicht da, und es ist unbedingt nothwendig, daß Du in einer Zeit, die zur Aufrichtung Deiner Nerven bestimmt ist, Dich mit Gewalt von allen derartigen Grübeleien und Sorgen, die Du geneigt bist immer so ernst zu nehmen, fern hälst.
Du selbst hast uns in unserer Jugenderziehung immer darauf hingewiesen, wenn es uns gut ging, hinter uns zu blicken, auf die vielen Menschen, denen wenn auch in pekuniär schlechter Lage, am Leben nichts fehlte, weil dieselben sich daran gewöhnt hatten, sich mit weniger zu begnügen und doch glücklich zu fühlen.
Daß Dir dies nicht fühlbar wird, herzlieber Vater, dafür laß uns, Deine Söhne einen Theil mitsorgen, denn das ist und muß für uns die erste Pflicht sein, daß Du in Deinen alten tagen nichts von alledem entbehrst, woran Du Dich bei Lebzeiten gewöhnt.
Der Himmel ist uns ja bis jetzt noch gnädig gewesen, und wer den lieben Gott läßt walten, den wird er wunderbar erhalten.
Leopold hat in Erfort bleiben können, ich komme nach Metz stehe mich dort monatlich um 40M. besser und habe, da aus dem Project mit der attackirten Stellung der Oberstleutnants zum Obersten allen Anschein nach nichts wird, weil sich verschiedene Autoritäten, vorzüglich von Treskow dagegen ausgesprochen haben, das Glück, (den) Stoll wenigstens noch 1-2 Jahr als Bateillons-Kommandeur zu behalten, dessen unerschütterliche Zuneigung zu mir, sowie seine väterliche Fürsorge werde ich mir zu erhalten wissen.
Mögen andere Naturen sich über das zwischen uns beiden bestehende Verhältnis moquiren. In unserem Stande gehört aber zu allem Diensteifer und Nüchternheit noch ein gewisses Verständnis, durch Offenheit und Sympathie für seine Vorgesetzten, sowie dadurch, daß man in soweit es die dienstlichen und außerdienstlichen Verhältnisse gestatten, den verkehr mit ihnen sucht, Ihre Zuneigung und Achtung zu gewinnen, wenn man seine Zeit will, daß dieselben sich der Eigenschaften und eventuellen Brauchbarkeit Ihrer Untergebenen erinnern sollen.
Eine gewisse Klique von Kameraden nennt dies "Megern", namentlich die Kadetten ( die aus dem Kadettenkorps entsprossenen jungen Offiziere) die immer die Folge der ganzen Jugenderziehung mehr oder weniger dazu geneigt sind, in dem Vorgesetzten eine unnahbare Persönlichkeit zu sehen die Ihnen durch den Dienst Ihre goldene Freiheit verkürzt und deswegen ein vertrauliches Verhältnis nicht zuläßt.
Hat Jemand nun aber etwas erreicht dann heißt es Protegie, Günstling u.s.w. Ich habe ein herrliches Mittel mir die Leute vom Halse zu schaffen. Hellwachs, Schickert und moi, wir 3 haben unseren Klassenbund fest aufrecht, und schon mancher hat sich ob der Zähigkeit unseres Zusammenhaltens und unserer Exklusivität gegen gewisse Elemente geärgert.
Schließlich wie die Betreffenden sehen, daß wir sie nicht brauchen um glücklich zu sein, da kommen sie zu uns und -"megern".
Die Hauptsache ist immer die, daß man sich solchen Leuten gegenüber nichts vergiebt und Ihnen zu verstehen giebt, daß man sein Leben nach ganz anderen Principien einrichtet, wie sie und in Folge dessen auch die Interessen mementan ganz andere sind. Kurz, Stoll hat neulich ganz öffentlich von meiner Adjutantur gesprochen. Es handelt sich also nur darum, daß der Oberst die Adjutanten nach dem Manöver eintreten läßt. Angenehmer wäre es mir allerdings gewesen, Stoll hätte nicht darüber gesprochen, den der oberst hat sich über diesen Punkt noch nie ausgesprochen, wenngleich seine gerechtigkeit Obiges erwarten läßt, denn ws giebt noch mehr tüchtige Offiziere in der Front, die vorwärts gebracht zu werden verdienen, außerdem sollen in der regel Premier-Lieutnants nicht mehr Bataillons-Adjudanten sein, sondern öfters Kompanien führen, da im Falle eines Feldzuges die 6 ältesten Premier-Lieutnants sofort Kompanien führen. Gestern vor acht Tagen habe ich meine diesjährige Sommerschlacht geschlagen und zum dritten mal gegen Schickert. Im vorigen Jahre hat mich derselbe durch zu frühen Abmarsch (besch...) und in Folge dessen die Ausführung meines Auftrages vereitelt, dafür habe ich Ihm so oft wir davon sprachen, mit der Übervortheilung öffentlich geärgert und diesmal mich glänzend revanchiert, indem ich erst seine Truppen geschlagen und Ihn allein, in Folge meiner Überrumpelung fern von seiner Truppe ahnungslos Posten revidierend, gefangen genommen. Freude war groß. Wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Wasderartige Intermezzos zur Folge haben, sind ein Bericht ausarbeiten und Croquis zeichnen. Letzteres ist glücklich fertig und es fehlte blos noch, daß man es mit Lack überziehen muß, dann wäre diesem Sport unseres Nebelhorns die Krone aufgesetzt und unsere Machwerke würden Geschlechter überdauern und Zeugniß davon geben, wie weit die Gamaschen-? Verücktheiten eines sonst anerkannten Feldsoldaten gehen konnten. Nächstens,- das Projekt ist bereits gemacht- wird eine militärische Photographen-Abteilung formiert, die dazu bestimmt ist die Hauptmomente der Offizieraufgaben durch ein Augenblickbild der Nachwelt zu überbringen. Der betreffende Photograph hat auf dem Rondez-vous für zuschauer zur bestimmten Stunde mit seinem Apparat und 4 praeparierten Platten zu erscheinen.
Zuerst ist der Apparat auf das Loch zu richten, aus welchem der Angreifer erscheinen muß. Sowie der Lieutnant auf der bildfläche erscheint brüllt der Übung Leitende"ertser Moment" und im nuh erscheint auf der Platte das Portrait eines langgestiefelten Schlachtopfers.
Sind die Parteien aneinander gekommen so hört man hinten das Commando "II Moment" und im nuh erscheinen auf der Platte zwei Schützenlinien, hinter jeder ein mit Opernglas beobachtender Lieutnant.
Jetzt gehts nun aus Feuern und drauf. Da schreits "III Moment". Auf der Platte ist nur ein von Pulverdampf umgebener Lieutnant mit geschwungenenm resp. hinzeigendem Degen sichtbar. Der IV Moment getattet einige Verschiedenheit, Entweder rennt Alles, der eine fort der andere hintendrein, oder eine Schützenlinie rennt gegen Pulverdampf an. Diese Bilder sind immer dieselben, aber die unvergleichliche Art des Arrangements damit sich Alles malerisch gruppiert und den Zuschauer packt, das ist die Kunst des Leitenden resp. der beiden. Die ersten Abzüge von den Platten sind zur Beurteilung dem Nebelhorn mit Senf und Mostrich von verschiedenen Interessenten vorzulegen.
"Schwamm drüber"! Der Sondershauser Sommerlieutnant hat vor ein paar Tagen an mich geschrieben. Schreibe Ihm demnächst wieder, wenn ich Zeit habe. In diesem Jahre Manöver 5 Tage hintereinander in der Haardt im Zeltlager.
Ich rechne stark auf Stoll, denn 5 Tage blos Kommis und Stroh!?-
Mit 1000 herzlichen Grüßen, Dank für die Zulage und dem innigen Wunsch, daß das jetzige schöne Wetter Besserung bringt, verbleibe ich Dein und der Deinen Jüngster Dich innig liebender Sohn
Gruß und Kuß an Mama und Hermann. Gustav.


  1. Erh. 5/7. beantw. 8/7'83 

  2. Transscription duch Sibylle Fährmann