Gustav Gerhardy an seinen Vater, Trier, den 25.01.1883

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Trier, den 25.1.1883

Lieber Vater1

Trotzdem2 heute wegen der silbernen Hochzeit unseres kronprinzlichen Paares militärische Ruhe ist,läßt mich meine in wenigen Tagen fällige Winterarbeit nur zu wenigen Zeilen kommen, die ich Dir, mein Herzensvater, zu Deinem lieben Wiegenfeste sende.
Dein letzter Brief vom18d.M. Hat mir doch so recht gezeigt, wie ich als Dein Jüngster in Deinem Herzen zu Dir stehe und mein innigster Wunsch kann daher sowohl zu Deinem bevorstehenden Wiegenfeste als stets nur der sein, daß der ewige Gott diesem innigen Verhältnis hier auf Erden noch ein langes Bestehen verleihen möge. In dieser Hinsicht also wünsche ich Dir, daß Du bald nun auch alle Folgen des, Gott sei Dank, überwundenen Katarrhs, beseitigt sehen möchtest, wozu natürlich ein baldiges mildes Frühlingswetter, daß Dich von der Stube erlößt, das meiste beitragen wird.
Dann Herzväterchen, heißt es aber energisch gleich begonnen und etwas für die Körperkräftigung gethan und nicht wieder den Sommer unbenutzt vorüber gehen lassen. Die traurigen Bilder um Dich herum in Erurt mögen allerdings wohl den gleichgültigsten Menschen stutzig machen, aber solange wir leben, gilt unser Leben den Lebenden und desshalb darf eine derartige Verstimmung nicht nachhaltig werden wenn sie der eigenen Exsitenz nicht schädlich werden soll.
"Darum laßt uns heute leben morgen können wir nicht mehr" sagt Schiller und mein[t] damit, daß man sich von allem Schmerz, immer wieder bald zur Freude wenden muß, damit man sich sein eigenes Leben nicht verbittert. Was nun die zu beantwortenden drei Fragen betrifft, so vernehmet daß mein Pluto sich soeben am wärmenden Ofen behaglich reckt. Die Freude des Wiedersehens war groß. Er sprang mir mit seinen Vorderpfoten gleich auf die Nase und ehe ich zurückweichen konnte hatte er ein paar mal durchs Gesicht geleckt, wofür er natürlich sofort eins hinter die Ohren bekam.
Ferner ist die Kiste mit ihrem tadellosen Inhalt zur richtigen Zeit am dritten Abend hier eingetroffen. Fleischwaren sind sofort kalt gehängt und die Vertilgung hat sich bereits auf zwei Serveletwürste eine kleine Zungenwurst und ein Stück vom Schinken erstreckt. Was mein Befinden anbelangt, so entspricht es vollkommen der Rekrutenperiode sowie der hiesigen naßkalten nebeligen Witterung. Ich sehne mich nach dem Frühling.
Leider ist erst am 1 März Rekrutenvorstellung. Nun Ad.[ressat] verlebe Dein Wiegenfest so froh als möglich und halte im Herzen Deinen Dich innig liebenden Sohn
1000 Grüße an Mutter, Bruder und Bekannte
Gustav


  1. Wegen meiner Lungenentzündung ? Gustav kurz nach meinem Geburtstag telegraphiert 

  2. Transscription durch Sibylle Fährmann