Gustav Gerhardy an seine Mutter

Gustav Gerhardy an seine Mutter
Metz, den 13. Jan. 1890


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Liebe Mutter!1
Dein soeben eingetroffene Brief beunruhigt mich, der ich den Zustand in seiner ganzen Härte habe durchkosten müssen - ich war nach Dr. Eders Ausspruch einer seiner schwersten Patienten,- nicht in dem Maße, wie doch das Ausbleiben einer weiteren Nachricht von Leo.
Sobald keine Lungenaffektionen zu der Krankheit hinzutreten, die bei alten Leuten, meißt in der Weise wie bei unserem lieben nunmehr seligen Onkel Heinrich enden, ist dieselbe auch im Rückfall nicht gefährlich. Ich habe auch vier Tage lang im Bette liegend, solche Kopfschmerzen gehabt, daß ich nicht im Stande war, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Bette dagegen ist Geduld, Ruhe, frische Luft, wenn der übrige Körperzustand es erlaubt und ein leichtes Abführmittel (Corrallsches Pulver).
Bis auf etwas Katarrh geht es mir wieder vorzüglich, das hat mich die ganze Zeit der Schlaffheit in der Arbeit abscheulich gestört und zurückgebracht. Nur nicht so ängstlich gleich, lieb Mutterherz. Ein junges kräftiges Menschenleben stirbt doch nicht gleich so schnell.
Die (Depesch) Drahtantwort hat dir hoffentlich befriedigende Nachricht gebracht. Onkel schrieb mir heute, daß Leo in einem Brief an ihn auch nur die Kopfschmerzen verwünscht. Mein Bursche bringt eben Telegramm an Leo fort. Die Antwort werde ich dir mitteilen.
Für die Examensunterstützung meinen herzlichsten Kuss und Dank. So Gott und mein Dusel es wollen, so ist das Geld und die Mühe nicht weggeworfen.
Hanni und Adda meine Vorpatienten in der Influenza sind wohl und guter Dinge. Hoffentlich haben wir Gerhardys nun die Modeseuche überstanden.
Alles grüßt und küsst dich herzlich.
In treuer Liebe und Dankbarkeit
dein Gustav

Rückantwort von Leopold: „Besserung eingetreten, Brief später.“2


  1. Transscription durch Sibylle Fährmann 

  2. Quer auf Seite 1