Gustav Gerhardy an seine Eltern

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Trier, den 28. XII. 1881

Liebe Eltern1, 2
Wie anders ist doch das diesjährige Weihnachtsfest im Vergleich zum vorherigen. Allerdings ist ja auch von Seiten aller hier bleibenden Kameraden beider Regimenter gegen eine Zahlung von 3M p Person und aus Unterstützungen vom Kasinofond ein großer recht hübscher Baum geputzt, aber die mit nun durch 22 Jahre hindurch gewohnt gewesene Umgebung war diesmal weit entfernt. Ich empfing zwar eine ganz verrücktes Werk "Das Leben des Freiherrn Liebrecht vom Knopf". Aber die natürlich zur Schau getragene Freude über dieses Werk, um die Wähler nicht zu verletzen war nicht annähernd so, wie die, über die Schiffchen die mir mit ihrem elterlichen Inhalt schon am Tage vorher bei mir einsprangen. Ferner kam auch schon am 22ten das Praktischste aller Geschenke in meine Hände.
Also wie gewöhnlich hat auch in diesem Jahr der gute Onkel Hermann sein Scherflein zur Verschönerung unseres Festes beigetragen. Ihm werde ich nachher auch noch schreiben. Dir lieber Vater, sowie der guten Mutter für die hauswirtschaftlichen praktischen Schiffchen meinen herzlichen Dank. Stolle wie Makronen sind trefflich gerathen, die Handschuhe habe ich für spätere Zeiten reservirt, da ich ja vorläufig noch ausgezeichnet und im Überfluß damit versehen bin. Das Hausschlüsseletui deutet darauf hin, daß ihr meinerseits noch eine größere Solidität wünscht;. nun ich wollte, ihr könntet mich einmal so im Stillen beobachten, was ich mit Ausnahme der Tage, wo ich aus gebeten bin, für eine Hausunke bin. Allerdings ist ist daran auch meine am 1. Febr. abzugebene Winterarbeit schuld.
Die Ruhe in dienstlicher Beziehung während der Feiertage, bekommt mir aus nehmend. Ich hatte eigentlich gedacht, ich würde während der Weihnachtstag so einige mal bei den Eltern meiner Tänzerinnen zum Dinner oder Souper freundschaftlichst eingeladen werden, aber ich habe mich da doch einigermaßen geschnitten, entweder ist das ein Beweis, daß ich namentlich von Seiten Heldberger doch noch nicht als Hausfreund betrachtet werde, oder sie haben vielleicht geglaubt, mir etwas stiften zu müssen und sich davor gescheut. Na, sei dem wie es wolle, ich werde jedenfalls ernstlich anfangen, mich etwas rarer zu machen anno 82, denn so lange wird wohl die Ruhepause dauern, damit der Lachs nachher umso pikanter schmeckt, resp. gewisse besorgliche und für die Tochter Männerherzen gewinnende Mutter in Ihrer auf solchen Pfaden kolossal tief zu sehen glauben, den Einbildungskraft, sich nicht etwas in den Kopf setzen: "da merkt man Absicht und man wird verstimmt". Ferner halte ich es für mich nicht anständig, wenn man ohne Absichten auf die Bitten der Eltern, doch öfter einmal so ganz gemütlich zu kommen, tangiert und sich auf deren Kosten den Bauch vollschlägt. Es könnte dann später einmal zu derselben Rede kommen, wie einst eine Mutter sagte: "4 Jahre ist er bei uns tagtäglich aus und eingegangen, ist von uns in jeder Hinsicht liebevoll behandelt, und wie er nun so gestellt ist, daß er die G. heirathen kann, da läßt er das arme Kind verschmachten und verlobt sich mit einer reichen Anderen". Ich weiß nicht, nach und nach komme ich zu der Überzeugung, daß die 4 Kameraden, die bloß beiden Generalen und Regimentsfamilien Besuch gemacht haben, doch schließlich die klügsten gewesen sind. Leider ist diese Einsicht zu spät bei mir gekommen; hat man einmal gesagt!
Doch ich schließe für heute mit nochmals den herzlichsten Dank für alle schönen Festgaben und verbleibe
Euer Euch liebender Sohn
Gustav


  1. Erfurt 29/12 1881 

  2. Transscription durch Sibylle Fährmann