Gustav Gerhardy an seine Mutter

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Trier, den 10. Nov. 1881

meine gute Mutter1
ein entsetzlich trauriges Ereignis hat Trier in letzter Zeit in Aufregung und tiefe Trauer versetzt. Denke dir v. Solemachers sind in Grünhaus um Ihren Umzug zu bewerkstelligen, der eine Sohn von den 6. Dragonern ist zu Besuch, geht auf die Jagd, seine Schwester, dies schöne, reizende junge Mädchen begleitet ihren Bruder. Auf dem Grüneberg frühstücken beide, nachdem sie sich warm gelaufen. Maria erkältet sich auf den Tod, bekommt auf beiden Lungenflügel zugleich Lungenentzündung und in acht Tagen ist das reizende Geschöpf eine Leiche. Jeder der das Ideal aller schönen Mädchen gekannt hat, war sprachlos. Wagenladungen von Kränzen sind hinausgefahren in ihr Erbbegräbnis nach Antweiler. Auch ich, auf den die sehr nette, wenn auch unnahbare schöne Maria einen tiefen Eindruck gemacht hat, habe mich nicht enthalten können, eine geringe Blumenspende auf der schönen entschlafen junges Grab zu stiften. Es ist doch entsetzlich, wenn der Tod, der unerbittliche so unvermuthet ein Prachtwerk der Natur, wie die Entschlafene es war, so schnell zertrümmert. Manches Auge ist bei dem Schmerz der Eltern, denen ihre Maria ihr Ein und Alles war, feucht geworden. Doch genug davon.

Was wir sonst noch auf dem Herzen haben, wollen wir in einem stillen Gebet, dem allmächtigen zu Füßen legen. Für Papas Karte meinen allerherzlichsten Dank. Und nun zu materiellen Sachen. Du wirst dich wundern, daß ich, trotzdem ich sagte, ich würde in Trier waschen lassen, nun doch einen Sack mit Wäsche schicke. Der Grund ist ein sehr einfacher, als ich nämlich das letzte Mal, vor drei Tagen meiner Waschfrau die Wäsche bezahlte, merkte ich, daß die von uns beiden erstellte Rechnung nicht stimmt, ich sehe nach, vergleiche unser altes Verzeichnis, was bis vor die Manöver bestanden hat, und finde da meine Frau Kettenhofen hat überall aufgeschlagen. Als ich sie auf das Ungehörige aufmerksam machte, meinte sie, sie könne bei den alten niedrigen Preisen nicht belassen. Ich gab ihr kurz den Laufpaß und nehme nun nachträglich deine Güte in Anspruch.
Ferner neigen sich meine Vorräte ihrem Ende stark zu. Butter ist schon alle. Ich bitte dich daher mir wieder einige Fressalien zu schicken, setze jedoch gleich hinzu, daß du dich von Papa von meiner Zulage entsprechend dafür bezahlt machst, ich bitte dich wenigstens darum.
Und so verbleibe ich dann mit herzlichen Grüßen
dein treuer Sohn Gustav


  1. Transscription durch Sibylle Fährmann